Die Lilienarmige. Ein Genrestück


Die Nachricht erreichte mich, als ich am Morgen in meinem Garten arbeitete. Der Nelkenflor bedarf zu jener Jahreszeit viel Aufmerksamkeit und so kniete ich vor dem rot und rosa leuchtenden Beet, als der  Bote gelaufen kam. „Kommen Sie, kommen Sie rasch, man hat die Elsbeth unten an der Mühle gefunden.“ Ich sprang auf und stand einige Augenblicke betäubt, der Kreislauf schlingerte, alles schien seltsam dumpf. Der Bote war bereits wieder zum Törchen hinaus, eilig folgte ich ihm, wie ich war, nach. Elsbeth musste in der letzten Nacht von der Johannesbrücke in den Fluss gesprungen sein, wo die Strömung sie schnell unter Wasser zog und bis zur Mühle mit sich trug. Da lag sie nun, leicht bläulich, ausgestreckt auf einer weiße Decke am Flussufer. Der bleiche Leib stach gespenstisch wenig vom hellen Grunde ab, doch erhöhte dies noch die Zartheit ihrer Glieder, die, nun mit jenem bläulichen Hauch bedeckt, noch stärker als sonst an fein gearbeitetes Porzellan erinnerten — die Lilienarmige, wie die Alten sie genannt hätten. Sie hatte ihr Sonntagskleid für den letzten Gang angelegt, das nun blau und gelb, am feuchten Körper klebte. Ich wollte ihr um den Hals fallen, sie küssen, als ich sie so vor mir sah, um Entschuldigung bitten, doch der Bote hielt mich zusammen mit dem Müllersknecht zurück. „Es hat doch keinen Sinn.“ Sie setzten mich an den Rand der Chaussee, wo wir auf die offiziellen Stellen warteten. Solange lag sie noch vor uns, fast wie schlafend, dahinter das kühle Wasser, das sie erstickt hatte, der liebliche Bach. Weiden breiteten ihre Äste darüber, an einer seichten Stelle blühte die Schwanenblume, Vögel sangen.

Die offiziellen Stellen kamen bald und luden sie nach kurzer Untersuchung in den schwarzen Wagen. Der Knecht und der Bote halfen und sprangen zuletzt auf die Trittbretter, dann war ich allein. „Elsbeth, Elsbeth . . .“ Mir versagte die Stimme und endlich quollen auch einige Tränen hervor. Ich verbarg mein Gesicht in den Händen. — Ich weiß nicht, wie lange ich so saß, genug, es zog mich schließlich zu der Brücke, von der sie ins Wasser gegangen war.

Wie sie, stand ich nun auf den Balken der Brüstung. Wie ich jetzt, hatte sie vor dem Sprung mein Haus sehen können, wo wir so frohe Stunden gemeinsam verlebten und wo ich in der Nacht ruhig geschlafen hatte. Der Mond war fast voll am Himmel gestanden, dessen erinnerte ich mich noch genau, sodass sie das Haus, sowie mein Fensterchen ganz deutlich gesehen haben musste. Beinahe hätten mich diese Gedanken auch hinab in die Fluten gerissen, doch es war noch etwas zu tun. Ich fasste mich also und kehrte zum Haus zurück, schulterte Spitzhacke und Spaten und grub neben der Brücke in den Hang einen Alkoven, eben groß genug, um darin eine kleine Figur aufzustellen. Zuvor wollte ich ihn hübsch ausmauern, es sollte ein würdiger Ort des Gedächtnisses sein. Ich steigerte mich in Fantasien über die Ausgestaltung und es war auch dies eine Form der Anklage, einer Anklage, die ich vor mir selbst und gegen mich selbst zu führen gedachte. Schweiß rann mir von der Stirne, ich scheuerte mir die Hände wund, als ich so in den festen Boden hieb. Wie toll schlug ich auf das Erdreich ein, als könnten meine Mühen böse Geister besänftigen.

Es dämmerte bereits, als ich fertig war. Erschöpft kehrte ich zum Haus zurück, doch ich konnte nun nicht schlafen, die Arbeit war lange noch nicht getan! Ohne an Essen oder Ruhe zu denken, stieg ich also in mein Atelier und machte mich daran ihr Abbild zu schaffen, solange es mir noch so lebendig vor der Seele stand, damit es am besten gleich morgen den Alkoven zieren könne. Auch der Eindruck, von dem porzellanenen, reinen Wesen, wie ich es den Morgen am Bach erlebt hatte, sollte mit in das Bildnis einfließen. Ich arbeitete lang, formte den Ton mit flinken Bewegungen. Nie war mir die Arbeit besser von den Händen gegangen und auch darin, wie zuvor am Hang, spürte ich den süßen Hauch der Reue, der mich überschauerte, mich nur rasender machte. Zuletzt goss ich die Form noch mit Gibs aus und stellte sie zum Trockenen auf. Erschöpft taumelte ich zu der Pritsche, die für die nächtliche Arbeit im Atelier bereitstand, wickelte mich in die zerschlissenen Decken und schlief ein.

Ich schlief nicht lang, doch quälten mich schreckliche Träume: Elsbeth stand wieder auf der Brüstung, aber sie war nicht allein, eine schattenhafte Gestalt stand daneben und ich wusste, sie würde ihr gleich die Füße fortreißen. Ich ließ es geschehen. Ließ es geschehen! Die Gestalt verschwand und ich stürzte zur Brüstung. Da lag Elsbeth am Grund des Flusses oder vielmehr lag dort die Figur, die ich gerade von ihr geschaffen hatte. Jedoch: hatte ich tatsächlich derart schlecht gearbeitet in meinem Wahn? Die Figur sah Elsbeth ähnlich, doch war sie es nicht. Mit Schrecken erkannte ich ein anderes Gesicht darin. Kopflos rannte ich zum Haus, wie der Knabe zur Mutter rennt, riss die Tür auf, stürzte die Treppe empor zum Schlafzimmer, doch als ich den Raum betrat, lag dort jemand in meinem Bett und lächelte mich aufreizend an. — — Ich fuhr von der Pritsche auf und blickte zu meinem Gipsguss hin. Er war mir mit einem Mal entsetzlich, sodass ich aufstand, die noch nicht ganz trockene Masse ergriff und mit aller Kraft an der Tischkannte zerschlug. Nur kurz sah ich noch auf die Bruchstücke, dann zog ich mich um und ging zur Brücke.


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